TANJA SELZER für den FEMALE GAZE

Meine Liebe zur Kunst führt mich immer wieder in Ateliers, um den Künstler*innen zu begegnen, die mich bewegen und faszinieren. Um diesen Besuchen eine Gestalt zu geben, schuf ich den Blog:
FEMALE GAZE
In Zusammenarbeit mit dem Berliner Kurator und Galeristen Alexander Ochs stelle ich in den nächsten Wochen 6 Künstler*innen und ihre Werken vor:
BEATE HÖING (Keramik und Malerei) siehe Beate Höing für den FEMALE GAZE, EWA FINN (Malerei, Zeichnung) siehe Ewa Finn für den FEMALE GAZE, FELICICA MÜLBAIER (Autorenschmuck) siehe Felicia Mülbaier für den FEMALE GAZE, NICO MARES (Malerei) Nico Mares für den FEMALE GAZE, SIMONE HAACK (Malerei) Simone Haack für den FEMALE GAZE und TANJA SELZER (Malerei).

Die aktuell noch virtuelle Exhibition mündet, sobald es die Situation erlaubt, in eine reale Schau vor Ort in der Berliner Galerie ALEXANDER OCHS PRIVATE.

Werfen wir einen Blick auf die Malerin: TANJA SELZER

Tanja Selzer
Photo by Oliver Mark

Künstler*in: Tanja Selzer
Geboren: 1970, Idar-Oberstein
Basis: Berlin
Der Funke: Das war eher eine Funkenkette. Da gab es viele Momente und Menschen. Ich komme aus dieser provinziellen, kleinen Stadt und hatte, seit ich denken kann, einen extremen Freiheitsdrang. Ich dachte früh schon, dass in der Kunst mit ihrer Schönheit und Anarchie meine einzige Chance liegt, so zu leben wie ich möchte.
Ausbildung: Die Hochschule für angewandte Wissenschaften in Hamburg ist der offizielle Teil meiner Ausbildung, aber mindestens genauso wichtig finde ich den autodidaktischen Anteil und die inspirierenden Einflüsse von Kollegen und Freunden und die Durchlässigkeit zu anderen Lebensbereichen, wie z.B. Musik oder Yoga.
Das Beste: 
Der Moment in der Malerei, wenn das Bild anfängt, sich selbst zu malen.
Was keinen Spaß macht(e):
 Ich habe sehr lange gebraucht (und brauche immer noch…) das Gute am Scheitern zu erkennen.
Ikonen: Marlene Dumas, Pierre Bonnard, Marina Abramovic, Louise Bourgeois, Eric Fischl, Pippilotti Rist, Elisabeth Peyton, Cecily Brown, Artemisia Genteleschi, John William Waterhouse, Joan Mitchell, etc. etc.
Bester Rat: Beständigkeit. Einfach immer ins Atelier gehen und arbeiten, egal ob es regnet oder man Liebeskummer hat. Die Regelmäßigkeit dabei finde ich viel wichtiger als die Quantität. Und von Louise Bourgeois: Tell your own story, and you will be interesting.
Warum Künstler*in:
 Siehe „der Funke“

Ich hatte das große Glück, die Künstlerin in ihrem Berliner Atelier zu besuchen:

 

Vorher kannte ich nur Tanja Selzers Bilder. Die Unbekümmertheit der nackten Paare irritierten und reizten mich gleichermaßen.
Kunst muss im Kontext betrachtet werden. Deswegen war es mir wichtig herauszufinden, was und wer sich hinter diesen erotischen Darstellungen verbirgt.

 

Mit der offen zur Schau gestellten Sexualität steht ein Elefant im Raum. Man ist angezogen, aber die nagende Frage, die im Hintergrund lauert ist: Wie gehe ich als Feministin mit pornografisch anmutenden Bildern um? Es ist ein schmaler Grat, dessen sich die Künstlerin bewusst ist. Wir sprachen über Metoo, Sexismus und das Spannungsverhältnis von Liebe, Gewalt und Leidenschaft.
In a Nutshell gebe ich die Essenz des Gespräches mit Tanja Selzer im Folgenden wieder:
Als erstes stellte sich die Frage warum Feministinnen von Anfang an Pornografie als demütigende Zurschaustellung der Frau proklamieren. Eine Antwort erschließt sich, neben anderem, aus den Umständen in der Pornografie ausgeübt wird. So hatte die berühmte Pornodarstellerin der Siebziger Jahre: Linda Lovelace nach ihrem Erfolg klargestellt, dass sie nicht freiwillig bei dem, auch vom intellktuellen Publikum gefeierten, Film „Deep Throat“ mitgespielt hatte, sondern unter anderem mit Waffengewalt dazu gezwungen wurde.
Sex und Gewalt liegen nah beieinander. Das macht den Reiz vieler pornografischer Darstellungen aus.
Sexualität ist eine animalische Kraft, aber auch ein entscheidendes Merkmal, das uns Menschen ausmacht.
Genauso wie sich Feministinnen gegen die Ausbeutung durch Sexualität stark machen, ist gleichermaßen die Ausübung freier Sexualität immer ein Grundpfeiler der Emanzipationsbewegung gewesen. Und zwar in der Umkehr des Fokusses, der grundsätzlich auf den Körper der Frau gerichtet ist, was sie zum Objekt, einem Ding macht und damit die Degradierung manifestiert.

tanja-selzer-female-gaze.blog-1
Künstlerinnen wie Marina Abramovic und Valie Export haben mit ihren Performances genau diesen Missbrauch thematisiert, auf die Spitze getrieben und damit das zur Sprache gebracht, was von emanzipierten Menschen gefordert wird:
Vom Objekt zum Subjekt zu werden.
In der Filmindustrie wurde der Begriff des „Male Gaze“ geprägt. Der Einsatz des „Male Gazes“ verkauft Werbung und Filme. Aus der Sicht des Mannes auf die Frau, die mit ihrer Körperlichkeit nur Mittel zum Zweck ist und nicht als Individuum betrachtet wird. Das Objekt. Der Umkehrschluss dieser Betrachtung ist der FEMALE GAZE (ein Begriff den die Regisseurin Jill Soloway prägte und die ich in meinem „Testat“ würdige):
Eine Subjektivierung der Betrachtung, die weiter geht als nur einen Körper zu zeigen, der sich auf einer Motorhaube räkelt.  Die Frau wird zu einer Person und ist nicht auf ihren Körper reduziert. Es geht um Selbstwahrnehmung, Selbstbestimmung. Und nicht nur Frauen werden betrachtet, sondern auch Männer, Menschen, die Welt.

 

tanja-selzer-female-gaze.blog
Was bedeutet diese Grundlage für und in Tanja Selzers Arbeit?
Die Künstlerin hat ihre Karriere als Malerin nicht mit nackten Körpern begonnen, sondern mit Menschen und Tieren in Landschaften, in denen die Wesen sich verfremdet bewegen.
Und wie, fragt man sich, gerät die Malerin an das Sujet des Liebesaktes, der in der Natur offen zelebriert wird?
„Ich folge keinem Konzept, meine Arbeit ist eine Entwicklung.“
Der Künstlerin geht es darum den Augenblick einzufangen, in dem Menschen vergessen, dass sie beobachtet werden.
Wenn man Tanja Selzers Bilder näher betrachtet, sieht man, wie sich die Körper in die Landschaft/Natur integrieren, geradezu auflösen. Die Künstlerin ist auf der Suche nach dem Zustand der Entrückung, dann, wenn die Akteure das äußerliche Beschautwerden hinter sich lassen und sich nur dem Akt hingeben. Genau das ist der Moment, wo Voyeurismus zum FEMALE GAZE wird. Der Augenblick wo die Emotion sichtbar wird.

PARADISE

TanjaSelzer_Paradise_2020_50x70_oilonlinen

Besonders stark wirkt die Entrückung in diesem Werk. Die Frau schaut den Betrachter direkt an, aber dennoch ist der Blick weit entfernt. Paradies. Nirvana. Der Zustand wo wir uns selbst vergessen und nur noch sind. Der Exhibitionismus wird zu einem intimen Moment.
Tanja Selzers Bilder erinnern in ihrer realistischen Darstellung an Werke aus einer anderen Zeit. An die Freikörperkultur des frühen Zwanzigsten Jahrhunderts.
Modernität wird durch die Irritation eines Tattoos oder zeitgemäßen Frisuren: Bob und Strähnchen, Merkmale unserer Zeit, vermittelt.

SANDY

TanjaSelzer_Sandy_2018_50x50cm_oiloncanvas

Man spürt förmlich die Kraft, Anspannung und den erlösenden Moment in dieser Szene.
Gegenwärtig wird die Darstellung von Sexualität vermehrt in Frage gestellt. Auch darüber sprach ich mit der Künstlerin. Tanja Selzer erzählte, wie sehr es sie befremdete, dass beispielsweise die Manchester Art Gallery  das Gemälde: „Hylas und die Nymphen“ von John William Waterhouse aus ihrer Ausstellung verbannte. Wir diskutierten über die neu aufkeimende Prüderie, die Kunst nicht befreien, sondern begrenzen will. Tanja Selzer widersetzt sich dieser Tendenz und gibt mit ihren lustzeigenden Bildern ein klares, feministisches Statement ab, das in seiner Bildlichkeit wirkt und nicht in Worte übersetzt werden muss.

Selbstverständlich sind die Arbeiten von Tanja Selzer schon jetzt zu erwerben.
Das Angebot finden Sie unter folgendem Link der Galerie:
ALEXANDER-OCHS-PRIVATE

Hinterlasse einen Kommentar